
D EINE ANDERE SICHTWEISE
D1 Problemstellung
(von D2 an sind Fussnoten hier eingefügt und verlinkt)
In den bisherigen Aufsätzen richtete ich den Blick auf zwei Gesteinsarten und erwähnte verschiedenste geologische Zusammenhänge. Was ich bis jetzt nicht berücksichtigte, ist die Entstehungsgeschichte der Geologie. Seit wann gibt es die heute so einheitliche wissenschaftliche Sicht auf die Erdenwelt? Ich möchte behaupten, dass diese Sicht ab 1960 einheitlich wurde. Davor gab es Teilgebiete, die weitgehend erforscht waren, aber je weiter wir zurückgehen, desto uneinheitlicher werden die Kenntnisse und das Wissen. Welche Wende vollzog sich also ab 1960?
Im Jahr 1912 hat der Polarforscher und Meteorologe Alfred Wegener seine Theorie der Kontinentalverschiebungen in zwei Vorträgen und in verschiedenen Schriften dargelegt. Mit seinen Veröffentlichungen schlugen ihm Wellen der Empörung und Verachtung entgegen. 1930 starb Alfred Wegener auf einer Grönlandexpedition.
Mein Vater, Dr. Simon van der Heide, studierte Geologie an der Universität in Leiden (NL, 1936). Er erzählte mir, dass man als Student den Namen Wegener niemals erwähnen durfte, wenn man eine Prüfung bestehen wollte.
Wegeners Theorie wurde erst ab 1960 anerkannt, ein halbes Jahrhundert nach Wegeners Veröffentlichungen. Die Erforschung des Ozeanbodens der Atlantik hatte ergeben, dass es einen unterseeischen Gebirgszug (den Mittelozeanischen Rücken) gibt, der genau zwischen den Kontinentalplatten liegt und in Nord-Süd-Richtung verläuft. An einer mehrere tausend Kilometer lange Nahtstelle ist ständig Lava ausgetreten und hat der Distanz zwischen den Kontinenten vergrössert (man spricht hier auch von Seafloor Spreading). Damit sich die Kontinente verschieben können, müssen sich ihre Landmassen vergrössern oder Teile ihrer Landmassen ins Erdinnere abtauchen, denn die Erdoberfläche ist mit ihrer Kruste wie eine Haut, die den ganzen Globus umschliesst. Diese Vorgänge waren zu Zeiten Alfred Wegeners völlig unbekannt. Erst als die Wissenschaft zu diesen Einsichten gelangte, wurde die Kontinentalverschiebung anerkannt und eine weltweite Erforschung setzte ein.
Das Bild der Plattentektonik (wie die Kontinentalverschiebung auch genannt wird) wurde immer vollständiger. Die Verschiebungen wurden rekonstruiert und man gelangte zu der Überzeugung, dass es einst einen einzigen Kontinent (Pangäa) gab, der sich im Laufe von Hunderten von Millionen Jahren in die heutigen Kontinente zergliederte.
Dank der Technologie der Messinstrumente (einschliesslich der Satellitenmessungen) und der wissenschaftlichen Laboruntersuchungen, die in einem halben Jahrhundert eine Fülle von Daten hervorgebrachten, erreichte die Geologie einen hohen Wissensstand. Zur Veranschaulichung erwähne ich vier Berichte, die im Internet veröffentlicht sind:
1) An der Universität Bayreuth⁷) können beispielsweise Materialeigenschaften unter extremen Druck- und Temperaturbedingungen untersucht werden.
2) Ein Forschungsschiff machte kürzlich eine 12,68 km tiefe Bohrung im Atlantismassiv (der Atlantische Ozean) und hat dabei zum ersten Mal Gesteinsmaterial des oberen Erdmantels ans Tageslicht befördert⁸).
3) Gesteine werden im Labor petrophysikalisch untersucht⁹). Dabei werden riesige Datenmengen gewonnen und gespeichert (Gesteinsdichte, Elastizität, Porosität, Permeabilität, Gesteinsalteration, Mineralzusammensetzung, Isotope, paläomagnetische Messungen, Röntgendiffraktomie, Röntgenfluoreszenz u.a.m).
4) Untersuchungen an der Universität Bern¹º) ergaben, dass die grünen Serpentinitschiefer am unteren Theodulgletscher 80 km tief in die Erde versenkt und später bei der Alpenbildung wieder an die Oberfläche gebracht wurden.
Die Euphorie über alle diese Daten haben zu populärwissenschaftlichen Schriften geführt, die Vorstellungen erwecken, die das Gegenteil von Wissenschaftlichkeit sind.
Über
diese Entwicklungen berichte ich in den nächsten Aufsätzen.
D2 Der Unterschied zwischen populärwissenschaftlich und wissenschaftlich
D2.1 Plattentektonik
In zwei Minuten können Sie sich heute virtuell rekonstruierte Lagebilder der Plattentektonik ansehen, die die ursprüngliche und die heutige Lage der Kontinente zeigen. Eine komprimierte Zeitreise von 200 Millionen Jahren in «nur» zwei Minuten¹¹). Diese virtuellen Bilder reduzieren sich allerdings auf die Landmassen, die sich über dem Wasserspiegel erheben. Unterhalb des Wasserspiegels setzen sich die Landmassen untermeerisch fort. Dieser Bereich bleibt dem Betrachter verborgen, und so erscheinen die Kontinente wieder als treibende oder driftende Eisberge, ein Bild, das die Wissenschaft über ein halbes Jahrhundert konsequent abgelehnt hat. Erstaunlicherweise liest man heute in populärwissenschaftlichen Schriften folgende Sätze: «Die Kontinente schwimmen auf dem plastischen Material des Erdmantels. Sie bewegen sich wie die Eisberge im Ozean, nur viel langsamer. Im Jahr legen sie nur wenige Zentimeter zurück¹²)». Oder folgendes: «, … weil im Anschluss daran die Platten der Erdkruste aufeinanderprallen und sich dabei aufwölben, tauchen aus den Ozeanen Inseln und Gebirgszüge auf. Diesen setzt die Erosion zu und produziert Unmengen von abgeriebenem Material, das an den Küsten, auf dem Grund der Ozeane und in den Tälern der neu entstehenden Gebirgszüge liegen bleibt. Vor 35 Millionen Jahren krachten nämlich die europäische und die afrikanische Kontinentalplatte in Zeitlupe ineinander¹³).»
Wenn man sich daran gewöhnt einen Vorgang, der sich über «zig» Millionen Jahre abgespielt hat, in zwei Minuten zu erfassen, dann ist es klar, dass man zu solchen Sätzen kommt, die eigentlich realitätsfremd sind.
Schon in der Kindheit wird ein Grundstein für diese Denkweise gelegt. Oben auf dem Prodkamm (Flumserberge) beim Restaurant befindet sich ein Kinderspiel des «Weltnaturerbes Sardona». Hier schwimmen in einem Wasserbecken Holzplättchen, die in Form der verschiedenen Kontinente ausgeschnitten sind. Auf einem Schild steht die Spielanleitung: «Pangäa – ein Puzzle-Kunstwerk aus Kontinenten. Während rund 150 Millionen Jahren lagen alle Kontinente wie ein grosses Puzzle nebeneinander. Gemeinsam bildeten sie den Superkontinent Pangäa. Vor etwa 150 Millionen Jahren begannen die Kontinente sich voneinander weg zu bewegen und Pangäa zerfiel. Schaffst du es, Pangäa wieder zusammenzusetzen? Im Wasserbecken schwimmen die einzelnen Kontinente wild durcheinander. Nimm einen Holzstock, und schiebe die Kontinente so zu Afrika, dass wieder das Pangäa-Puzzle entsteht.»

Dieses Puzzle vermittelt den Eindruck, dass sich die Kontinente «frei schwimmend» bewegen. Das Bild von Eisbergen auf dem Meer prägt sich schon in Kinderseelen ein. Mir kommt es dabei so vor, als würde ich eine Blume zerrupfen, deren Einzelteile (Blätter und Stängel) man spielerische wieder zusammensetzen kann, aber so entsteht die Blume nicht.
Schauen Sie sich die «Plattenbewegungen» etwas genauer an, verfolgen Sie, wie sich das einheitliche, kompakte «Superkontinent» zu gliedern beginnt. Schliessen Sie aus, dass es sich um ein willkürliches, zufälliges Herumtreiben handelt, denn die Bewegungsrichtungen sind festgelegt und müssen einen Sinn haben. Verfolgen Sie nun die Gliederung weiter. Sie führt allmählich zur Anordnung der Kontinente auf dem heutigen Globus. Kann man sich eine schönere Anordnung vorstellen?
Erweitern wir dieses Bild mit einer kurzen Ausführung zu den Weltenmeeren.
¹¹) https://www.youtube.com/watch?v=_0tejKld8Yk («wandernde Kontinente»)
¹²) https://www.vulkane.net/earthview/plattentektonik.html
¹³) PR180710_Grimselgebiet_Herwegh, Basler Zeitung
D2.2 Weltmeere
Vor nicht allzu langer Zeit (25.20.2024) erschien im Magazin des Tagesanzeigers ein langer Bericht mit dem Titel «Das erschöpfte Meer¹⁴)». Wer sich in diesen Bericht vertieft, erfährt, wie Strömungen in den Meeren und Ozeanen verlaufen. Auf- und absteigende Strömungen, Oberflächen- und Tiefen-Strömungen, riesige Meander durchziehen die Ozeane. Wenn man sich all diese Strömungen vor Augen führt, erkennt man, wie sie sich zu einem in sich geschlossenen, weisheitsvollen Kreislauf in den schönsten Formen zusammenfügen. Man erfährt auch, dass die Ozeane einen grossen Teil des CO2-Überschusses absorbierten und die Erwärmung der Erde deutlich verzögert haben. Mit der heutigen Messtechnik mit Boien ist es möglich geworden, eine Karte zu erstellen, die das Netzwerk aller Strömungen sichtbar macht¹⁵). Die Boien treiben nicht nur an der Meeresoberfläche, es gibt auch solche, die tief im Meer versunken Daten sammeln. So entstand ein genaues Bild dieses weisheitsvollen «Kreislaufs».
Als die Astronauten zehntausende Kilometer von der Erde entfernt auf den blauen Planeten blickten, erzählten sie von einem tiefen Gefühl der Demut. Sie waren ergriffen von der Erhabenheit und Schönheit unseres Planeten.
Müssen wir uns erst zehntausende Kilometer von der Erde entfernen, um diese Schönheit zu erkennen? Ich glaube, dass der Mensch solche Gefühle in Extremsituationen unvermittelt erlebt, um aber die Schönheit der Welt im «Heute und Jetzt» zu erleben, gibt es auf der Erde ausreichend viele Orte. Wir verlieren oft diese Gefühle.
¹⁴) https://www.tagesanzeiger.ch/meer-magazin-recherche-zur-ueberhitzung-der-ozeane-157876351588
¹⁵) https://unwetter-radar.de/meeresstroemungen-radar/
D2.3 Erdinneren
Wenn Sie den lebendigen Kreislauf der Weltmeere in sich aufgenommen haben und sich der Plattentektonik zuwenden, dann möchte man zu gerne wissen, wie sich denn dieser Kreislauf der Meere im Laufe der Jahrmillionen immer wieder angepasst und verändert hat. Man merkt, dass bei der virtuellen Gliederung der Kontinentalplatten, dieser Ganzheit fehlt. Dann bemerkt man weiter, dass man ja nur zweidimensionale Flächenbegrenzungen betrachtet hat. Alle Kontinente haben ja ein Relief! Unser Bild von der Plattentektonik ist schon sehr dürftig. Und wenn viele Wissenschaftler davon sprechen, dass die Kontinente auf einer flüssigen «Unterlage» treiben, dann müssen wir nicht nur die Ozeane, sondern auch diese «flüssige Unterlage» genauer in unser Bild einfügen.
Was geht im Inneren der Erde vor sich? Man hat fast keine Mittel, um das innere der Erde zu erforschen. Unter B2 erwähnte ich: Bohrungen, Seismologie und Konvektionsströmungen und so weiter. Schlägt man aber einen Weltatlas auf oder bei GoogleBilder nach dem Aufbau der Erde fragt, dann wird man mit Bildern überflutet. Man sieht die Erdkugel aufgeschnitten vor sich, bestehend aus vielen Schichten, die einen Schalenaufbau zeigen. Woher weiss man das alles?
Die populärwissenschaftlichen Darstellungen gehen noch viel weiter. Das Erdinne «…muss (man) … sich wie ein riesiges Fondue vorstellen»¹⁶). Auch hier sollen Bilder aus dem Alltag als Erklärungshilfe dienen und möglichst sollen sie so gewählt werden, dass sie wie «Actionfilme» wirken. Man stelle sich das kochende Fondue im Erdinneren vor. Wenn wir die Wucht gewaltiger Vulkanausbrüche kennen, dann spritzt beim Vulkan «das Fondue» aus der Pfanne heraus!

Wer zur Kenntnis nimmt, dass sich die Alpen jedes Jahr um einige Millimeter heben, kann sich nur vorstellen, dass die Hebungskraft unvorstellbar gross sein muss. Zur Veranschaulichung kann man sich das Entladen eines Lastkahns¹⁷) vorstellen. Je mehr von der Ladung gelöscht wird, desto höher hebt sich das Schiff aus dem Wasser. Auch am eigenen Körper können wir die Auftriebskräfte beim Schwimmen erfahren. Übertragen auf die Alpen wissen wir, wie einerseits die Eismassen (Eiszeit) von den Bergen verschwanden und andererseits durch die Erosion der Abtragungsschutt mit Geröllströmen in die Ebenen gelangte. Man sieht wie der «Alpen-Kahn» entladen und durch die "Auftriebskräfte" angehoben wird. So werden «Erklärungen» aus unserer gewohnten Umgebung entnommen und auf Gebiete angewendet, die noch nicht eindeutig erforscht sind.

Aber nicht nur die Alpen werden in die Höhe getrieben, auch die Kontinente bewegen sich um einige Zentimeter pro Jahr. Auch dafür gibt es eine Erklärung:
«Der Motor hinter der Plattentektonik findet sich tief im Erdinneren. Im äusseren Erdkern und im Erdmantel gibt es Konvektionsströmungen aus plastischem Material. Diese Strömungen bilden vertikal rotierende Zelle mit mehreren Tausend Kilometern Durchmesser. Die Rotationsrichtung zwischen 2 benachbarten Zellen ist gegenläufig¹⁸)». Dieser Satz lässt wenigstens zu, dass es im Erdinnern Strömungen geben soll. In Ruhe ist das Erdinnere gewiss nicht. Woher das Bild von «vertikal rotierende Zelle mit mehreren Tausend Kilometern Durchmesser» genommen wird, ist mir unverständlich und dass diese als «der Antriebs-Motor» für die Plattenbewegung gelten sollen, ist mir schwer zugänglich.
¹⁶) PR180710_Grimselgebiet_Herwegh, Basler Zeitung
¹⁷) Toni Labhart, "Geologie der Schweiz", Hallwag AG, 1982
¹⁸) https://www.vulkane.net/earthview/plattentektonik.html
D2.4 Neuere Erkenntnisse über das Erdinnere
Ich lernte das AlpArray Projekt kennen, ein von der Schweiz initiiertes Projekt, an dem 45 Institutionen aus 18 Ländern beteiligt sind. Sie haben ein Netz von 600 Seismographen aufgebaut, die über den gesamten Alpenraum verteilt sind (von den Pyrenäen über Korsika bis nach Ungarn). Schon kleinste Erschütterungen werden registriert. Bis 600 km Tiefe wird das Erdinnere erforscht. Die Seismologie ist ein Zweig der Geophysik, der oft mit der heutigen Erforschung des menschlichen Körpers verglichen wird. So wie man den menschlichen Körper mit Ultraschall, Computertomographie und Magnetresonanztomographie untersuchen kann, so kann man in der Seismologie durch die Schwingungsfrequenzen, die die Erde durchlaufen, virtuelle Bilder ihrer Struktur sichtbar machen. Schauen Sie sich den wissenschaftlichen Bericht an: https://se.copernicus.org/articles/12/2671/2021/ , und scrollen Sie hinunter bis zum Kapitel: "6.3 A 3D view of the slab configuration beneath the Alps", dann finden Sie eine Abbildung, die ein virtuelles Bild des Erdinneren (bis 600 km) zeigt. Würden im Erdinneren Prozesse wie in der Fondue-Pfanne ablaufen, würde man solche Bilder nicht finden. Möglicherweise handelt es sich um ehemalige Teile der Erdkruste. Ob diese in Bewegung sind? Ob sie absinken? Wie stationär diese Teile sind? Ich nehme an, dass durch diese Untersuchungen völlig neue Erkenntnisse gewonnen werden.